Avenir: Was war der Auslöser und was ist das Ziel der HR-Reorganisation im SEM?
Stoppia: Die HR-Sektion wurde 2013 gegründet und hatte von Beginn an 3 zentrale Schwerpunkte: HR-Beratung und HR-Services sowie die Personal- und Organisationsentwicklung. Während HR als Einheit innerhalb dieser Strukturen wuchs, hat sich das SEM an sich jedoch stark verändert. Wir hatten den Eindruck, dass wir im HR zu reaktiv und zu weit weg von den Kunden sind und uns fehlten die Kapazitäten, um strategische Themen anzugehen und das SEM als gesamtes Amt weiterzuentwickeln. Deshalb haben wir unser HR neu organisiert, um proaktiver, vorausschauender und lösungsorientierter agieren zu können – anstatt erst zu reagieren, wenn es fast schon zu spät ist.
Weder: Wir haben die Gelegenheit genutzt, nach innen zu schauen und zu reflektieren, ob wir immer noch das Richtige tun und ob wir so aufgestellt sind, dass wir den Kernauftrag des SEM bestmöglich erfüllen können.
Stoppia: Ich hatte den Eindruck, dass wir zwar genügend Ressourcen haben, aber noch nicht überall den Nutzen erzielen, um als unersetzlicher Partner der Linie wahrgenommen zu werden. Uns war wichtig, zu definieren, wo wir dem SEM einen Mehrwert bieten.
Avenir: Wie habt Ihr es schlussendlich geschafft, dass Ihr als unersetzlicher Partner der Linie wahrgenommen werdet?
Stoppia: Wir sind noch auf dem Weg dahin. Wir hatten bisher das Image, dass es kompliziert wird, sobald man HR miteinbezieht. Wir wollen mit der Linie als ein Team agieren und zeigen, dass wir zusammen mehr erreichen.
Avenir: Was war die grösste Herausforderung, die Ihr während der HR-Reorganisation erlebt habt?
Weder: In einem ersten Schritt haben wir analysiert: Was sind unsere Kernaufgaben? Wie erfüllen wir diese? Und welche Rolle nehmen wir ein? Das «Was» klärten wir partizipativ mit der Geschäftsleitung und den Führungspersonen, um sicherzustellen, dass HR nicht an den Kernaufgaben des SEM vorbeiarbeitet. Das «Wie» zeigte, dass wir nicht überall gut aufgestellt sind, besonders bei der Effizienz hatten wir noch Luft nach oben.
Danach mussten wir sicherstellen, dass wir alle vom HR mit an Bord haben. Vermutlich war das die grösste Herausforderung während der Reorganisation. Wie bei jedem Change-Prozess gab es die Tendenz am Alten festzuhalten und Ängste vor dem Neuen. Im Normalfall nehmen wir die Rolle der Prozessbegleiter ein und unterstützen Veränderungsprozesse; dieses Mal haben wir jedoch als Betroffene selbst diese Erfahrung gemacht und dieser Perspektivenwechsel tat gut – auch für unsere zukünftige Arbeit.
Stoppia: Die grösste Herausforderung aus meiner Sicht war innerhalb des HR-Teams anzuerkennen, dass Anpassungs- und Veränderungsbedarf besteht – eine Einsicht, die nicht bei allen sofort da war. Zusätzlich zeigte sich, dass der Reifegrad der Organisationseinheiten unterschiedlich ist – einige sehen HR als administrative Unterstützung, während andere HR als Business Partner sehen.
Avenir: Wie habt Ihr es geschafft, Mitarbeitende und Führungskräfte aktiv in den Wandel einzubinden?
Stoppia: Wir haben die HR-Organisationsentwicklung in zwei grosse Phasen unterteilt. In der Konzeptionsphase haben wir das neue HR-Geschäftsmodell in einer Projektgruppe entwickelt, wobei etwa ein Drittel des Teams direkt involviert war. Der Rest des Teams wurde regelmässig informiert, und über Sounding-Boards haben wir Bedürfnisse und Bedenken gesammelt. In der Umsetzungsphase haben wir die Implementierung des Geschäftsmodells vorbereitet. Den Widerstand innerhalb des Teams haben wir während der Umsetzung unterschätzt – wir sind davon ausgegangen, dass unser partizipativer Ansatz ausreichen würde.
Weder: In der ersten Phase kamen wir in Diskussionen zum Schluss, dass HR verstärkt die Rolle des strategischen Partners und Change Agents übernehmen sollte. Diese neue Rolle erfordert jedoch spezifische Kompetenzen. Hier kamen bei unseren Teams die Fragen auf, ob sie diesen Anforderungen gerecht werden können. Das führte zu Unsicherheiten: einige empfanden den Rollenwechsel als motivierend, für andere wirkte er eher abschreckend. In einem Teilprojekt haben wir uns mit den notwendigen Kompetenzen auseinandergesetzt und für jede Funktion ein Curriculum entwickelt. So haben wir den Mitarbeitenden gezeigt, dass sie bei der Befähigung für ihre Rolle unterstützt werden.
Avenir: Könnt Ihr ein Beispiel nennen, wie gelungene Kommunikation einen kritischen Punkt im Projekt positiv beeinflusst hat (gegenüber Führungskräften, Mitarbeitenden, HR-Team)?
Weder: Eine Übergangsphase ist immer eine Phase der Unsicherheit. Mit der Botschaft «Wir setzen weiterhin auf euch, und wir geben euch genügend Zeit, in die Rolle reinzukommen» haben wir als Leitungsteam versucht, möglichst viel Sicherheit zu geben.
Stoppia: Unsicherheit ist ein gutes Stichwort. Da die Veränderung interne Funktionsänderungen mit sich brachte, mussten sich einige Mitarbeitende entscheiden, wo sie sich in Zukunft sehen. Wir haben die internen Stellenbesetzungsprozesse so ausgelegt, dass sie möglichst viel Ruhe und Stabilität bieten. Die teils neuen Führungskräfte haben ihre Teams mit grossem Engagement und viel Wohlwollen geführt, ein entscheidender Faktor für den Projekterfolg. Wir hatten das Glück, dass der Veränderungsprozess mit neuen Funktionen und Ressourcenzuwachs verbunden war.
Teamintern haben wir uns auch bewusst ein Jahr Zeit gegeben, um uns im neuen Geschäftsmodell einzufinden, was den Druck deutlich reduzierte. Nach aussen hin haben wir das neue Modell aktiv allen Führungskräften vorgestellt und beworben, um sie darüber zu informieren, was sie zukünftig von uns als HR erwarten können.
Avenir: Wie hätte sich eine solche Transformation und Reorganisation in einem privatwirtschaftlichen Kontext unter-schieden?
Weder: Ich denke, mit mehr Tempo und stärker top-down. Im Vergleich zu anderen Organisationen starten wir nicht auf der «grünen Wiese». Als Teil der Bundesverwaltung sind wir an die Vorgaben des eidgenössischen Personalamts und die Leitplanken der Personalstrategie Bund gebunden. Uns war es sehr wichtig, dass wir genügend Zeit einplanen und den partizipativen Ansatz ins Zentrum stellen. Uns war bewusst, dass es uns so mehr Energie kosten würde, aber das Engagement hat sich ausgezahlt. Dennoch haben wir den tatsächlichen Zeitbedarf unterschätzt. Neben dem ohnehin bereits intensiven Tagesbetrieb bedeutet die Veränderung entsprechend eine Doppelbelastung.
Stoppia: Und wir sind nicht dem gleichen Druck wie Unternehmen in der Privatwirtschaft ausgesetzt. Es gab bei uns keine Diskussionen über unsere Daseinsberechtigung oder darüber, dass wir im HR Stellen abbauen müssten.
Avenir: Welche Erfolge konntet Ihr durch die HR-Reorganisation konkret erzielen?
Stoppia: Ich würde es in zwei Bereiche unterteilen.
HR ist jetzt präsenter bei der Linie, versteht die Bedürfnisse von Mitarbeitenden und Führungskräften besser und kann frühzeitig und unkompliziert Lösungsansätze für sich abzeichnende Herausforderungen entwickeln und einbringen.
Der zweite Bereich betrifft unseren Erfolg, grundlegende Arbeiten zu strategischen HR-Themen voranzubringen und gleichzeitig Ressourcen freizusetzen, z. B. haben wir jetzt die Grundlagen für ein SEM-weites betriebliches Gesundheitsmanagement.
Weder: Ich sehe ebenfalls einen Vorteil im gestärkten Strategie-Fokus. Gerade das Beispiel des ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitsmanagements zeigt, wie wir das SEM in seinen Kernaufgaben effektiv unterstützen können. Mit einem Gesundheitsmanagement, das sowohl die organisationale als auch die individuelle Ebene adressiert, schaffen wir spürbare Wirkung, indem wir belastungsbedingte Ausfälle von Mitarbeitenden gezielt minimieren.
Stoppia: Zusammenfassend erlebe ich es heute so, dass die Linie gerne mit Themen wie beispielsweise Führung auf das HR zukommt. Das Vertrauen in HR ist spürbar gewachsen. Führungspersonen und Mitarbeitende schätzen die Zusammenarbeit, weil der Mehrwert für sie klar erkennbar ist.
Avenir: Welche praktischen Tipps würdet Ihr Organisationen geben, die eine ähnliche Transformation durchlaufen wollen – ganz von Organisation zu Organisation?
Weder: Zusammen und offen zu untersuchen, warum eine Veränderung notwendig ist. Ein gemeinsames Verständnis zu schaffen und klar aufzuzeigen, welches Ziel angestrebt wird – das sind wichtige Voraussetzungen. Und die Dringlichkeit für die Veränderung sichtbar und spürbar machen. Führungspersonen müssen in der Transformation für möglichst viel Sicherheit sorgen.
Stoppia: Der Bedarf und der Gewinn einer Veränderung müssen deutlich gemacht und das Zielbild klar kommuniziert werden. Nicht nur intern, sondern auch ausserhalb des HR-Teams – insbesondere gegenüber Führungskräften und der Geschäftsleitung. Die Diskussion über die Rolle von HR in der Organisation und die Klärung der Erwartungen ist zentral.
Rückblickend würde ich wohl die Konzeptphase verkürzen und mehr Zeit in die Vorbereitung der Umsetzung investieren. Wichtig ist, den betroffenen Mitarbeitenden psychologische Sicherheit zu geben, indem transparent kommuniziert wird, dass alle mitgenommen werden und Raum haben, ihre Bedenken zu äussern.
Avenir: Welche persönlichen Tipps würdet Ihr Fachpersonen geben, die eine ähnliche Transformation durchlaufen wollen?
Weder: Ich würde die Phase des ergebnisoffenen Erkundens strikt von der Bewertungsphase trennen, da oft zu schnell in eine Bewertung übergegangen wird. Wenn die Neugier lange aufrechterhalten und offen auf unterschiedliche Perspektiven eingegangen wird, entstehen später weniger Bedenken, da sich alle erst einmal gehört fühlen. Sonst entsteht schnell der Eindruck, dass die Lösung von aussen kommt, was die Identifikation verringert.
Stoppia: Für mich war eine Erkenntnis wichtig – man geht oft davon aus, dass Leute im HR automatisch beraten können. Das Verständnis aber zu dem, was Beratung im HR tatsächlich heisst, geht weit auseinander. Die Klärung des gemeinsamen Beratungsverständnisses ist essenziell und sollte als zentrale Investition betrachtet werden. Dieses Mindset muss im Team gemeinsam entwickelt werden.
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