Zwischen Freiheit und Verantwortung – Führen in Zeiten von Remote Work

Virtuelle Teams, digitale Meetings, grenzenlose Zusammenarbeit — doch wie entsteht Vertrauen, wenn Begegnungen im Büro fehlen? Dieser Artikel geht der Frage nach, wie Führungskräfte erfolgreich eine vertrauensbasierte Kultur gestalten, die ohne physische Nähe funktioniert, welche Kompetenzen zum Erfolg beitragen und welche Rolle Assessments in diesem Zusammenhang spielen können.

Die Arbeitswelt ist im Umbruch: Digitalisierung, Globalisierung und nicht zuletzt die Pandemie haben die klassische Präsenzkultur an ihre Grenzen gebracht. Dies wirkt sich sowohl auf unsere Arbeitsweisen als auch die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, aus. Klassische Führungsmodelle, die auf Kontrolle setzen, geraten an ihre Grenzen. Stattdessen rückt ein neues Paradigma in den Vordergrund: New Leadership.

New Leadership: Loslassen – ohne den Überblick zu verlieren

New Leadership beschreibt keinen starren oder einheitlichen Führungsstil, sondern eine flexible, werteorientierte Haltung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und die Möglichkeiten der digitalen Zusammenarbeit nutzt.

Im Kern geht es um fünf Prinzipien:

  • Eigenverantwortung: Mitarbeitende gestalten selbstständig ihren Arbeitsalltag.
  • Empowerment: Teams entscheiden zunehmend eigenständig.
  • Coaching: Führungskräfte unterstützen und fördern, statt zu kontrollieren.
  • Transparenz: Offene Kommunikation schafft Vertrauen und Bindung.
  • Sinnorientierung: Vision und Purpose vermitteln Orientierung.

Für Führungskräfte bedeutet das, verstärkt loszulassen, ohne an Einfluss zu verlieren, und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten können, ohne wirtschaftliche Ziele aus den Augen zu verlieren. Im Zusammenspiel mit Teambuilding und Remote  Work entstehen neue Möglichkeiten, die Führungskräfte vor Chancen, aber auch Herausforderungen stellen.

Virtuelles Teambuilding: Vertrauen braucht Rituale

Doch wie entsteht unter diesen Rahmenbedingungen ein Team? Traditionell fand Teambuilding oft in physischer Präsenz statt: Workshops, Outdoor-Trainings oder informelle Treffen im Büro. Im Zeitalter von Remote Work verändert sich die Art, wie Teams entstehen und wachsen. Virtuelle Gemeinschaften benötigen neue Formen des Miteinanders. Vertrauen entsteht nicht mehr durch «beiläufige Treffen», sondern muss gezielt aufgebaut und gepflegt werden. Da spontane Begegnungen fehlen, gewinnen gemeinsame Rituale an Bedeutung, etwa regelmässige Check-ins oder digitale Kaffeepausen. Darüber hinaus steigt die Relevanz der verbindlichen Kommunikation sowie der klaren Vereinbarung von Aufgaben, Zielen und Verantwortlichkeiten. Verlässliche Regeln bzgl. Verfügbarkeit und Feedback-Kultur bilden Meilensteine auf dem Weg zum Erfolg. Teambuilding in Remote-Umgebungen erfordert also Kreativität und Struktur zugleich sowie die Verständigung auf hybride Modelle. Dabei steht eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung: von digitalen Onboarding-Programmen über hybride Events bis hin zu agilen Ansätzen wie Retrospektiven. Relevant ist dabei, die Gestaltung von Beziehungen als kontinuierlichen Prozess und nicht als einmaligen Event zu begreifen und digitale wie analoge Räume zur Förderung der Teamidentität zu nutzen.

Remote Work: Balance aus Freiheit und Verantwortung

Remote Work ist mehr als ein vorübergehender Trend: Immer mehr Unternehmen integrieren flexible Arbeitsmodelle dauerhaft in ihre Kultur und reagieren damit nicht nur auf Bedürfnisse ihrer Arbeitnehmenden, sondern erhöhen in Zeiten des Fachkräftemangels auch die Attraktivität, um Mitarbeitende langfristig zu binden. Während Einzelne grössere Freiheit geniessen und die Möglichkeit erhalten, Berufliches und Privates besser miteinander zu vereinbaren, ergeben sich neue Fragen: Neben der Gestaltung des Teamzusammenhalts bedarf es guter Sensoren, um Einzelne zu fordern und zu fördern sowie gleichzeitig Überbelastung aus der Ferne zu erkennen. Zu viel Freiheit kann Orientierungslosigkeit erzeugen, zu viel Kontrolle demotivieren. Es gilt, die Balance zu halten, einerseits vorgegebene Ziele zu erreichen und andrerseits sorgsam mit den (eigenen) Ressourcen umzugehen. Führungskräfte wie Mitarbeitende müssen den Weg zwischen permanenter Erreichbarkeit und guter Regeneration finden: Es braucht Pausen, um anschliessend wieder engagierten Einsatz zeigen zu können; Be- und Entschleunigung sind untrennbar miteinander verbunden. Dabei sollten auch Bewegung und  Interaktion nicht zu kurz kommen, wenn der Arbeitsplatz nur wenige Schritte entfernt und oftmals nicht in einem sozialen Umfeld angesiedelt ist. Damit Remote Work gelingen kann, ist Verantwortung auf allen Seiten gefragt. Freiheit und Struktur bilden dabei keine Gegensätze, sondern die Basis einer erfolgreichen Kultur.

Führen neu gedacht: Empathie und Klarheit

Was heisst das für Führungskräfte? Während das Management der Organisation, das Sicherstellen eines stabilen wirtschaftlichen Fundaments, weiterhin zentral bleibt, wächst die Notwendigkeit, neben dem souveränen Umgang mit digitalen Tools verstärkt interpersonelle Fähigkeiten zu schulen. Es bedarf emotionaler Intelligenz und Empathie, um den Perspektivenwechsel von der Sach- zur  Beziehungsebene zu vollziehen bzw. den Spagat zwischen unterstützender Mentorin und Vorgesetzter zu meistern, die oder der bei Bedarf in der Lage ist, angemessen Grenzen zu setzen. Dies setzt das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen voraus, die Bereitschaft, sich selbst zu reflektieren und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Da Emotionen und Stimmungen virtuell schwerer zu erkennen sind, braucht es gleichzeitig Vorgesetzte, die Kommunikationstechniken virtuos einsetzen können und in der Lage sind, aktives Zuhören mit gezieltem Nachfragen zu verbinden, während sie Mitarbeitenden Raum zur eigenen Entfaltung gewähren. Neben der Fähigkeit, nonverbale Signale bewusst wahrzunehmen, ist es insbesondre in internationalen Strukturen, in denen unterschiedliche Verhaltensmuster und Präferenzen aufeinandertreffen, wichtig, interkulturell versiert wie sensibel zu reagieren. Durch Wertschätzung, Transparenz und ein Klima des Respekts können Führungskräfte eine Umgebung schaffen, in denen Mitarbeitende sich trauen, Ideen wie Kritik zu äussern, Fehler einzugestehen und Konflikte gekonnt auszutragen. Auf diese Weise entsteht ein Raum, in dem nicht nur Austausch möglich ist, sondern sowohl individuelle Talente wie eine Gemeinschaft wachsen können.

Assessments als Entwicklungshelfer

Mit diesem Wandel halten auch Assessments Schritt: Ansätze, die nur auf Selektion fokussieren, weichen zunehmend entwicklungsorientierten Herangehensweisen. Dazu zählen neben 360-Grad-Verfahren, die Führungskräfte gezielt auf New-Leadership-Kompetenzen spiegeln, auch virtuelle Development Center oder KI-gestützte Simulationen, die Führung in Remote-Settings praxisnah erlebbar machen.

Führung auf Distanz ist kein Verlust, sondern eine Chance, wenn es gelingt, Nähe neu zu definieren. Mit klaren Rahmenbedingungen, Empathie und kontinuierlicher Kommunikation lässt sich eine vertrauensbasierte Kultur schaffen, die auch ohne physische Nähe funktioniert.

Assessments können diesen Wandel begleiten und Führungskräften Orientierung geben. So entsteht ein Raum, in dem sowohl individuelle Talente als auch starke Teams wachsen können – im Büro, hybrid oder vollständig remote.

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