Strategieumsetzung – aufgezeigt am Beispiel von PostMail

Welches sind die Fähigkeiten, über die Ihre Mitarbeitenden in Zukunft verfügen müssen? Wo im Unternehmen sind die besten Talente, die gezielt gefördert wer­den sollen? Zwei Schlüsselfragen der Personalentwicklung, die nicht immer eindeutig und präzise zu beantworten sind.

Der Beitrag stellt in einem ersten Teil die konzeptionellen Grundlagen des Kompe­tenz- und Talent Managements vor und zeigt im zweiten Teil anhand des Umset­zungsbeispiels bei PostMail, welche praktischen Erfahrungen in der Anwendung gemacht wurden.
Die erste Herausforderung besteht da­rin zu erkennen, welches – abgeleitet aus der Unternehmensstrategie – die Anforde­rungen sind, die das Unternehmen zukünftig an die Mitarbeitenden, insbeson­dere auch an Führungskräfte, stellt. Diese Frage kann durch die Entwicklung eines unternehmensspezifischen Kompetenz­modells geklärt werden. Dabei ist wichtig, innerhalb des gesamten Führungsteams eine Diskussion darüber zu führen, wel­ches die Qualifikationen sind, die das Unternehmen zukünftig einzigartig und so­mit erfolgreich machen. Folgende Fragen stehen dabei zur Diskussion:

  • Welches sind die wichtigsten Entwick­lungstrends, die das Unternehmen be­treffen (Markt, Technologie, Gesell­schaft, Politik, weitere)?
  • Welche Herausforderungen für das Unternehmen bringen diese Entwick­lungen mit sich?
  • Um diesen Herausforderungen erfolg­reich zu begegnen,
    • werden welche Fähigkeiten benötigt?
    • ist welches Verhalten erforderlich?
    • sind welche grundlegenden Werte förderlich?

Diese Diskussion fördert das gemeinsame Führungsverständnis und schafft ein klares Bild der erfolgskritischen Kompetenzen, die im Unternehmen aufgebaut und gefördert werden sollen. Als Resultat die­ses Prozesses soll ein Kompetenzmodell vorliegen, dessen Struktur die in der folgenden Tabelle aufgeführten Elemente enthält.
Bevor das Kompetenzmodell definiert wird, sollten folgende Fragen geklärt werden.

  • Definition der Zielgruppe:
    • Wer soll damit angesprochen werden (Führungskräfte, Fachspezialisten, Projektleiter, weitere)?
    • Werden im Unternehmen unterschied­liche Modelle angewandt oder wird ein einheitliches Modell definiert?
  • Festlegung der Taxonomie:
    • In welcher Grundstruktur sollen die Kompetenzen abgebildet werden (wie Fach-/Methodenkompetenzen, Selbst-, Sozial- und Führungskompetenzen)?
    • Wie sollen die Kompetenzen ausfor­muliert werden (auf der Ebene von Fähigkeiten und Fertigkeiten [kognitiv] und/oder auf der Werte- und Ein­stellungsebene [affektiv])?
  • Bestimmung der Beurteilungsskalen:
    • Welche Skalen werden für die Ein­schätzung der Kompetenzen verwen­det?
    • Wie werden die einzelnen Stufen der Skala beschrieben (generisch oder spe­zifisch je nach Kompetenz)?

Steht das Kompetenzmodell, so stellt sich die Frage bezüglich der Evaluation der Kompetenzen im Unternehmen. Dabei ste­hen unterschiedliche Vorgehensweisen zur Auswahl, die untereinander auch kom­biniert werden können:

  • Selbsteinschätzung durch Mitarbeitende
  • Einschätzung durch Vorgesetzte
  • Fremdeinschätzung (beispielsweise durch Assessment)
  • Fragebogen und (Online-)Tests zur Eva­luation der Kompetenzausprägung

Für die Abstimmung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung ist es wichtig, dass sowohl Mitarbeitende wie auch Vorgesetz­te die Ausprägung der Kompetenzen ein­schätzen. Dabei sind Einschätzungsfehler und -tendenzen wie soziale Erwünscht­heit, die Tendenz zur Mitte oder die Selbst­wertbestätigung zu berücksichtigen und geeignete Vorgehensweisen festzulegen, um diesen entgegenzuwirken. Diese kön­nen massgeblich durch die Definition der Skalen, der Schulung von Mitarbeitenden und Vorgesetzten sowie der Entwicklung einer ausgereiften Feedbackkultur beein­flusst werden. Das Gespräch zwischen Mit­arbeitenden und Vorgesetzten zwecks Ab­stimmung der Kompetenzeinschätzung ist ein zentrales Element des Kompetenz­managements. Nur wo Übereinstimmung und ein gemeinsames Verständnis aufge­baut werden können, ist es möglich, wir­kungsvolle Entwicklungsziele festzulegen und umzusetzen.

Kompetenzmanagement als griffige Hilfestellung

Nebst der individuellen Perspektive stellt sich für das Unternehmen die Frage, wie Mitarbeitende unternehmensweit nach gemeinsamen Standards entwickelt wer­den. Dazu bietet sich der Ansatz des Perso­nalportfolios an, wo Leistung und Poten­zial erfasst werden. Die Beurteilung der Leistung erfolgt auf der Basis der Zielbeur­teilungen über die letzten Jahre sowie des Leistungsverhaltens der Mitarbeitenden. Die Potenzialeinschätzung hingegen ist schwieriger fassbar und bereitet oft Mühe, da unterschiedliche Interpretationen des Begriffs «Potenzial» bestehen und sich eine Unsicherheit zeigt, wie dieses eingeschätzt werden kann. Hier bietet das Kompetenz­management eine griffige Hilfestellung: Potenziale werden anhand der Einschät­zung der Kompetenzen nach einem ge­meinsamen Massstab erfasst. Dazu werden die zu beurteilenden Kompetenzen be­stimmt und folgende Fragen beantwortet:

  • Wie hoch ist die Kompetenz heute ausge­prägt?
  • Über welches Potenzial verfügt ein Mit­arbeitender, sich in dieser Kompetenz noch weiterzuentwickeln?

Das Ergebnis der Einschätzung von Leis­tungs- und Potenzialkriterien ist die Posi­tionierung der Mitarbeitenden innerhalb des Portfolios. Das Portfolio ist in verschie­dene Felder aufgeteilt (siehe Abbildung).
Die im Portfolio erfassten Daten lassen sich anhand unterschiedlicher Kriterien auswerten, um kollektiven Entwicklungs­bedarf zu erkennen und gezielte Massnah­men festzulegen.
Auch bei der Ausgestaltung von Ent­wicklungsprogrammen ist darauf zu ach­ten, dass ein direkter Bezug zu den Heraus­forderungen des Unternehmens hergestellt wird. Mögliche Gestaltungselemente dazu sind:

  • Involvierung von allen Talenten in den Strategieumsetzungsprozess durch Teil­nahme an Workshops mit dem Füh­rungsteam
  • Bearbeitung eines realen Projektes als Be­standteil der Entwicklungsmassnahme
  • Bearbeitung von Fallstudien aus dem Unternehmenskontext im Rahmen von Trainings
  • Führungsgrundsätze und -verständnis durch eigene Führungskräfte vermitteln (Leaders develop Leaders)

Durch die Verknüpfung von Unterneh­mensstrategie mit dem Kompetenzmodell, der Evaluation der Kompetenzausprägungen sowie der Ableitung von individuellen und kollektiven Entwicklungsmassnahamen leistet das Kompetenz- und Talent Management einen direkten Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Unternehmensstrategie.

Umsetzungserfahrungen bei der Schweizerischen Post

Die Schweizerische Post, mit rund 44 000 Vollzeitstellen der zweitgrösste Arbeit­geber der Schweiz, hat vor zwei Jahren ent­schieden, ein Talent Management einzuführen. Das Mitarbeitendenbeurteilungsinstrument wurde 2007 grundlegend überarbeitet, und auch Aktivitäten für das E-Recruting und die Kaderentwicklung sind auf Konzernstufe im Gange. Nachwuchsförderungs- und Nachfolgeplanungsprojekte werden in den Konzernbereichen realisiert. In einer Vorstudie wurden 2006 die Rahmenbedingungen für ein Kompetenzmanagement ermittelt, und im Früh­jahr 2007 wurde ein entsprechendes Projekt initialisiert.

Die Schweizerische Post wendet dabei eine einheitliche Kompetenzstruktur und ein einheitliches kognitiv orientiertes Modell bei den Verhaltenskompetenzen an (Selbst­, Sozial- und Führungskompetenzen). Die Fach- und Methodenkompetenzen werden ebenfalls zentral verwaltet, können aber von den Konzernbereichen stark mitge­prägt werden. Das Modell sieht sechs Ausprägungsstufen vor, wobei die Fach- und Methodenkompetenzen generisch, die Ver­haltenskompetenzen spezifisch pro Stufe beschrieben sind. Daneben unterhält die Post eine einheitliche Funktionsarchitek­tur. Die Funktionen werden in Funktions­gruppen und diese wiederum in Funkti­onsfamilien zusammengefasst. Während die Funktionen eine eher generelle Be­schreibung darstellen, können detaillierte­re Anforderungen in Positionsprofilen fest­gehalten werden. In der Regel entspricht eine Position einer spezifischen Stelle. Die Personalentwicklung von PostMail, dem grössten Konzernbereich der Schweizerischen Post, ist einer der Treiber des Kompetenzmanagements, da eine der tragenden Säulen in der PE-Strategie das Talent-respektive Kompetenzmanagement ist. Die Personalentwicklung als alleiniger Treiber des Themas führt aber unweigerlich in die Sackgasse. Bei PostMail wurden deshalb die Fachbereiche früh einbezogen, und es stellte sich heraus, dass dort offene Türen eingerannt wurden. Der Bedarf an Grundlagen für gezielte Entwicklungen der Mitarbeitenden, also weg von der Gieskannenentwicklung, war gross.

Der Kompetenzmanagementprozess

Auf den klassischen Prozess (Definition Soll-Profil, Ist-Erhebung, Soll-Ist-Abgleich) soll hier nur punktuell eingegangen wer­den. Speziell an der Lösung der Schweizerischen Post dürfte der Kompetenz-Check zur Erfassung des Ist-Profils sein. Hierfür beantworten sowohl die Vorgesetzten als auch die Mitarbeitenden rund 60 bis 70 Fragen. Im eigens dafür entwickelten Frage­bogen werden jeweils drei bis vier spezifi­sche Fragen pro Kompetenz zusammen­gefasst und in eine Ausprägungsstufe um­gerechnet. Die Resultate der Selbst- und der Fremdeinschätzung werden zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden bespro­chen und eine endgültige Einschätzung festgelegt. Die ursprüngliche Vorstellung, dass die Mitarbeitenden und Vorgesetzten die Einschätzung nur anhand der Beschrei­bungen der Ausprägungsstufen vorneh­men könnten, hat sich als nicht praktika­bel erwiesen. Zu schwierig war die Ein­schätzung rein aufgrund der generellen Beschreibung. Nicht ganz alltäglich dürfte auch der Umstand sein, dass sobald ein abgegli­chenes Ist-Profil besteht, die Mitarbeiten­den sich mit sämtlichen vorhandenen Soll-Profilen vergleichen können (siehe Ab­bildung).

Integrierte Personalentwicklung

Anlässlich einer Standortbestimmung für rund 80 mittlere Führungskräfte (Füh­rungsspanne zwischen 50 bis 300 Mit­arbeitende) in Betriebsorganisationen bei PostMail wurden verschiedenste Instru­mente und Ansätze der Personalentwick­lung integrativ angewendet. Die Grund­lage bildetete das um eine Gewichtung pro Kompetenz erweiterte Soll-Profil. Darauf aufbauend wurde ein halbtägiges Develop­ment Center (DC) durchgeführt. In drei Einheiten wurden die Fähigkeiten der Teil­nehmenden auf ihre Übereinstimmung mit dem Anforderungsprofil geprüft, wäh­rend gleichzeitig ihr Potenzial ermittelt wurde. Die Resultate zeigten, dass in zwei Kompetenzfeldern (Geschäftsführung und Führungskommunikation) kollektiv Ent­wicklungs bedarf besteht.
Die im DC ermittelten Potenziale bildeten eine der Grundlagen im nachfolgend eingesetzten Personalportfolio. Ziel des Instruments:

  • Sichtbarmachen der Verteilung im Port­folio
  • Ermitteln der Potenzial- und Topleis­tungsträger
  • O-Messung für einen periodischen Ein­satz
  • Testen der Akzeptanz des Instruments

In einem für alle Beteiligten sehr lehrrei­chen Prozess wurden in einem ersten Schritt die Teilnehmenden von ihren Vorgesetzten eingeschätzt. Im zweiten Schritt wurden die Resultate mit den anderen Vor­gesetzten in einem Abstimmungswork­shop besprochen und die eigene Einschäzung im Abgleich mit anderen Meinungen allenfalls korrigiert. Daraus entstand das endgültige Portfolio, das zusammen mit den Resultaten aus dem Development Cen­ter die Basis für die weiteren Entwick­lungsschritte bildete. Das Zentrum des Förderprogramms bilden zwei Module für die Entwicklung der oben genannten Kompetenzfelder. Das Programm wurde angereichert mit Ele­menten, die den Potenzialträgern vorbe­halten waren. So erhielten sie zum Beispiel die Zusatzaufgabe, in strategischen Initiativen mitzuarbeiten und die konkreten Anforderungen an die Führung im Bereich abzuleiten, so dass diese in die Module ein­fliessen konnten. Ein konkreter Business­Case wurde während dem Programm im­mer wieder unter anderen Gesichtspunk­ten analysiert.
Im weiteren Verlauf werden die Poten­zialträger nun vermehrt in Strategie­umsetzungsprozesse involviert und mit anderen spezifischen Aufgaben gefördert und gefordert. Der Personalportfolio­Prozess wird regelmässig wiederholt, um Verschiebungen im Portfolio sichtbar zu machen. Es kann sogar so weit gehen, dass die Vorgesetzten an der Entwicklung des Portfolios gemessen werden.

Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung

Einige der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Umsetzung von Talent-Management-Massnahmen sind:

  • strategische Ausrichtung der Personal­entwicklungsaktivitäten
  • Integration verschiedenster Aktivitäten für die Erreichung der Ziele
  • durchgängige Entwicklungsplanung (kollektiv und individuell) über Füh­rungsebenen hinweg
  • Themensponsor (Bedürfnisträger) in der Linie respektive in der Unternehmens­leitung

Wichtig wird auch sein, dem aufwändigen Prozess konkrete Massnahmen folgen zu lassen. Statt externer Weiterbildungen dürften hier vor allem On-the-job-Mass­nahmen wie Job-Rotation oder kollegiale Fallberatung sinnvoll sein.

Die Personalentwicklung muss dabei

  • kompetenter Partner sein
  • neue Erkenntnisse und Lösungsansätze einbringen
  • die analysierten Bedürfnisse der Linie abdecken

Original-Artikel

Quelle: HR Today
Ausgabe: Special 03/2008