Rückblick auf den 44. SKO LeaderCircle: Führen lernen?!

Führen ist wie Reifen wechseln bei 180 km/h auf der Autobahn!

Eine Führungskraft fühlt sich heute oft als «eierlegende Wollmilchsau». Sie soll ständig optimieren und Veränderungen anstossen, ein Zukunftsbild entwickeln und für Stabilität sorgen, gleichzeitig interdisziplinär denken, Mitarbeitende in Entscheidungsprozesse einbinden, Rollen und Erwartungen klären, Regelungen und Compliance-Vorgaben befolgen und gleichzeitig Kreativität und Risiko­bereitschaft fördern. Am #LeaderCircle der Schweizer Kader Organisation SKO vom 17.9.19 waren sich die rund 160 Teilnehmenden einig, Führung muss wieder direkter und persönlicher, näher an den Menschen und näher am Geschäft sein. Die Diskussion drehte sich vor allem darum, welche Leadership-Fähigkeiten es heute braucht, und ob man Führen überhaupt lernen kann.

Die Digitalisierung verändert Unternehmen und Organisationen gleichermassen schnell und grundlegend. Führung muss neu gedacht werden. Führung wird effektiver, wenn die Führungskraft über die eigene Führungsarbeit reflektiert, hinderliche Verhaltensweisen und Routinen hinterfragt, aus der Erfahrung lernt und neue Wege ausprobiert, um die eigene Wirkung zu erhöhen und um sich und das Team zu motivieren.

Prof. Dr. Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen und Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement erklärte in Ihrem Keynote-Referat, dass es Führung mehr denn je brauche. Denn das Gefühl von Führen sei angesichts der Umweltdynamik wie «180 auf der Autobahn zu fahren, während wir die Reifen wechseln». Die Tendenz zum «Unbossing» – also weg vom autokratischen, Top-down Führungsstil – sei zwar richtig, jedoch nicht zugunsten einer «Laissez faire»-Führung, die zu einer Vernachlässigung der Beziehungen und zu einer fehlenden Orientierung führt. «Viel besser ist es, auch einmal laut werden, sich zu kümmern und konstruktives Feedback geben, als sich gar nicht mehr für die Mitarbeitenden zu interessieren.».

Statt gar keiner Führung braucht es eine neue sinnorientierte Führung, und mutig engagierte Leader. Der Fokus muss auf Vorbildhandeln, inspirierende Motivation, Chancenorientierung und individuelle Beachtung der Mitarbeitenden – kurz auf transformationale Führung gelegt werden. Der Vorteil ist in Zahlen belegbar: Die Unternehmensleistung ist um 24%, die Mitarbeiterbindung um 14% die Kundenorientierung um 27% höher und die emotionale Erschöpfung um 45% niedriger. In Realität haben aber 36% der Führungskräfte Selbstzweifel. D.h. sie nehmen Führung als Belastung wahr, zweifeln, ob Führung in ihrer Natur liegt und würden lieber nicht führen. Der Anteil der Führungskräfte mit Selbstzweifeln ist im Top-Management klar höher als im mittleren Management.

Die Bürokratie, die Beschleunigungsfalle und geringe Handlungsspielräume bei gleichzeitig paradoxen Anforderungen an Führungskräften verstärken signifikant die Selbstzweifel von Führungskräften. Um mit Herausforderungen konstruktiv umzugehen, braucht es sowohl Adaptionskompetenzen als auch Gestaltungskompetenzen. Die Adaptionskompetenzen sind jedoch heute um 30% weniger ausgeprägt. Dazu gehören Polychronizität, (die Fähigkeit zu Multitasking), ein Stress Mindset (abschalten, sich regenerieren können) sowie Ambiguitätstoleranz (mit Widersprüchen und Spannungsfeldern umgehen können).

Nach dem Impulsreferat von Prof. Dr. Heike Bruch diskutierte Stefan Barmettler, Handelszeitung, auf dem Podium mit ihr und den Podiumsgästen Ralph Echensperger, Zurich Schweiz, Dr. Marcel Oertig, Avenir Group und Dr. Hans C. Werner, HR Swisscom.

Ralph Echensperger, der von der Kaufmännischen Ausbildung bei der Zürich Versicherung über verschiedene Stationen, auch bei anderen Arbeitgebern, eine steile Karriere «hinauf gestolpert sei» wie er es selber nennt, leitet jetzt als Mitglied der Zürich Geschäftsleitung die Schadenabteilung der Zürich Schweiz. Er meint «ein Diplom an der Wand sagt höchstens aus, dass ich «mal da war» und etwas gelernt habe. Es sagt jedoch nichts darüber aus, was ich kann.». Ein guter Leader übe sich in Selbstreflexion.

Heike Bruch gesteht, dass sie selber eher KPI bezogen führt und sich deshalb nicht Führungs-Superstar nennen könne, obwohl sie natürlich die Konzepte für gute Führung kenne. Sie empfiehlt den Ansatz der Konzernleitung der Otto Group und auch von Swisscom, die einen Tag im Monat für den eigenen Change in Mindset und Führung investieren.

Gemäss Marcel Oertig der Avenir Group gibt es die allmächtige Führungskraft nicht mehr. Forderungen nach Hierarchie-Abbau und Weitergeben von Verantwortung an die nächste Stufe werden oft nicht umgesetzt. Der Anstoss zu Selbstlernprozessen und Transformation komme meistens von Jüngeren. Der Patron wird immer der Patron bleiben, trotz aller Unbossing-Ideen.

Artificial Intelligence spielt in der Kaderweiterentwicklung noch eine sehr kleine Rolle und stehe mit Führungssimulationen mit Avataren auf der anderen Seite oder in virtuellen Räumen noch ganz am Anfang. Es kann eine interessante Ergänzung sein, zum Beispiel für Onboarding Prozesse mit Corporate Brain oder ähnlichen Ideen.

Hans C. Werner, heute HR-Chef bei Swisscom, startete als ehemaliger Leiter der Kantonsschule Winterthur, und will als Lebensmotte immer etwas Neues ausprobieren. Die extreme Transformationsphase, in welcher sich Swisscom befindet, stelle enorme Herausforderungen an Führungskräfte. Die Weiterentwicklung erfolgt mit starkem Einbezug der Mitarbeitenden sowohl von «Top-down» wie auch – und vor allem – «Bottom-up». Operative Herausforderungen habe man immer. Trotzdem investiert auch die Swisscom-Konzernleitung jeden Monat einen Tag in die Transformation und widmet sich dann den 3 Themen: Führung und Zusammenarbeit, «Simplicity» dh. Vereinfachung und der Kundenorientierung. Für Führungspersonen, die seit dem Kindergarten eine „Top-down“ Kultur erleben, werde der Change zu agilen Methoden sehr schwierig. Sie bringe zwar Effizienz und Geschwindigkeit, brauche aber einen völlig neuen Mindset. Die Mitarbeitenden müssen sich bei Swisscom deshalb intern auf Projekte bewerben, um ihre Kompetenzen gezielt weiterzuentwickeln.

Ralph Echensperger konnte anhand von Projektleitungsaufgaben Führung on-the-job lernen und sich den partizipativen Führungsstil aneignen. Führung bleibe aber ein lebenslanges Lernen. Hilfreich seien auch tolle Führungspersonen als positive Vorbilder, wie auch die negativen Beispiele, die zeigen, wie man es selber lieber nicht machen möchte.

Was braucht es, um heute Karriere zu machen?

Intelligenz schadet auch bei Führungspersonen nicht, damit sie die komplexen Zusammenhänge verstehen. Wichtig sind Offenheit, eine Vertrauenskultur, Respekt, und Involvierung, ein agiles Mindset, Innovationsfähigkeit, kreative und kognitive Fähigkeiten– weg von der allmächtigen, hin zur geteilten Führung. Es braucht eine gewisse innere Ruhe.

Learn how to be comfortable with beeing uncomfortable.

Es gibt keine Sicherheit mehr in Zukunft. Die VUCA-Welt und gleichzeitige Abgabe der Verantwortung verunsichern auf allen Stufen. Führungs-Naturtalente gibt es sicher. Es gilt, diese zu entdecken. Denn oft werden immer noch falsche Kriterien zur Beförderung angewandt, und zum Beispiel Lautstärke für Kompetenz gehalten.

Führen lernen

Die Anforderungen werden sich ändern. Der grosse Teil der Unternehmen ist auf dem Weg zu agilen Systemen. Gleichzeitig werden bestehende Kulturen bleiben. Es braucht sowohl Verbindlichkeit wie auch die inspirierende Führung. Leader beherrschen die Beidhändigkeit, einerseits sowohl effizient, hochpräzise ohne Fehler, und andererseits explorativ innovativ zu arbeiten. Es braucht Leute, die Verantwortung übernehmen, die verstehen wie es geht

Zur Aneignung von Fachkompetenz braucht es im Durchschnitt 8 Monate. Um sich hingegen Führungskompetenzen anzueignen, genehmigt man sich nur 3 Tage, stellt Heike Bruch fest.

Einig war sich die Podiumsgäste, dass Leader zwingend digitales Wissen brauchen, damit sie die Auswirkung der neuen Technologien wie Digitalisierung, Automatisierung, KI und AI eingeschätzt werden können. Und daneben wird auch die werteorientierte Führung immer wichtiger, die mit einer Sinnhaftigkeit und gelebten Unternehmenskultur als Fundament des Vertrauens die bewusste Vorbildfunktion wahrnimmt.

Jürg Eggenberger wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass man am Anfang stehe, was «gute Führung» in der Schweiz bedeute und es eine Austausch-Plattform brauche, um Führung zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen und sie in Zukunft so zu gestalten, dass die Schweiz ein Chancenland und innovativ bleibe. Ein spannender und inspirierender Abend wurde mit einem Apéro-Riche und vielen Diskussionen abgeschlossen.

Original-Artikel

Datum: 20190919