Mutig in die Chatbot-Zukunf

Der digitale «Arbeitskollege» bei Swisscom heisst Blu und soll die «digitale Hauptanlaufstelle» für interne Fragen der Mitarbeitenden sein. «Mittlerweile erkennt unser Chatbot über 200 Absichten eines Nutzers und kann darauf reagieren», erklärt Digital Experience Manager Matthias Hunzinger. Er weiss, welches Tagesmenü auf der Kantinen-Speisekarte steht, hilft bei technischen Problemen oder beantwortet HR-relevante Fragen. «Etwa ein Drittel der Anfragen betreffen HR-Themen wie Arbeitszeit, Zeiterfassung oder Adressänderungen. Ausserdem kennt Blu unseren Gesamtarbeitsvertrag auswendig», sagt Hunzinger. Doch wie bei jedem Selfservice benötige dies einen langen Atem und ein konsequentes Bespielen des Kanals. Künftig soll Blu die Fragen so gut beantworten, dass die HR-Mitarbeitenden entlastet werden. «Aktuell wird unser Chatbot mit Vielem konfrontiert, auf das er noch keine Antwort hat», sagt HR Digital Officer Ralf Ploner.

«Sophie» erledige einige HR-Aufgaben schneller, besser und effizienter als ein Mensch, bewirbt HRM-Dienstleister HR Campus seit gut einem Jahr seinen Eulen-Chatbot. Technik-Experte Felix Anderegg verdeutlicht dies an einem Beispiel: «Sendet man Sophie das Foto eines Spesenbelegs, liest der Algorithmus alle relevanten Informationen wie den Betrag, die Währung und die Mehrwertsteuernummer und sendet diese an das entsprechende IT-System. Die Spesenerfassung ist somit wenige Sekunden nach Erhalt des Belegs erledigt.» Ohne Sophie würde der Beleg vermutlich tagelang mitgeschleppt und bis zur Unkenntlichkeit zerknittert werden und müsste dann mühsam und zeitraubend von Hand ins System getippt werden.

Der Mensch bleibt wertvoll

Einer der zeitaufwendigsten Prozesse im HR ist das Recruiting. Auch dort werden immer häufiger Chatbots eingesetzt. Sie helfen dabei, «Termine mit Kandidaten zu vereinbaren, diese über den aktuellen Stand des Bewerbungsprozesses zu informieren sowie Referenzen einzuholen und unterstützen sogar den Onboarding-Prozess», sagen Silvan Winkler und Patrick Estermann vom HRM-Dienstleister Avenir Group. Auch bei Kandidaten stossen Chatbots auf Gegenliebe. Gemäss einer Studie von Careerbuilder (2017) finden 81 Prozent der Jobsuchenden, dass ein regelmässiges Update ihre Candidate Experience deutlich verbessert. Auch wenn sich der neue Mitarbeitende bereits eingelebt hat, kann ihn der Chatbot als HR-«Teammitglied» unterstützen. «Für Mitarbeitende ist es eine gute Erfahrung, wenn sie ihre Probleme selbständig lösen», sagt Melanie Müller, Marketing- und Kommunikationsleiterin beim Beratungs- und Technologie-Unternehmen Pidas. «Das HR-Team wird zudem von repetitiven Aufgaben entlastet und kann auf Mitarbeitende vermehrt individuell eingehen.»

Doch nicht alle HR-Aufgaben sind digitalisierbar, sind sich die Gesprächspartner einig. Insbesondere solche nicht, die einen persönlichen Kontakt erfordern. «Ein Chatbot kann zwar einen Termin für ein Vorstellungsgespräch aufsetzen, die Durchführung bleibt indes weiterhin Aufgabe des Menschen. Da sind andere Skills gefragt», sagt Müller. Für Winkler und Estermann sind es zwischenmenschliche Fähigkeiten wie Anerkennung, Wertschätzung, Anteilnahme oder Mitgefühl, die nicht delegiert werden können. Auch das Bauchgefühl lasse sich nicht durch ein digitales Tool ersetzen. Das HR brauche sich also kaum Gedanken zu machen, dass seine Tätigkeit gänzlich wegdigitalisiert werde.

Image und Employer Branding

Dennoch lohne sich das Gedankenspiel, dass Chatbots als «Assistenten» etliche Aufgaben im HR vereinfachen, ist die Meinung der Gesprächspartner. Mit ihnen lasse sich sogar das Unternehmensimage aufpolieren. «Unternehmen können sich durch den Einsatz der digitalen Helferlein als Arbeitgeber von anderen abheben und zeigen, dass sie am Puls der Zeit sind», sagt Melanie ­Müller. Das erweise sich als Vorteil für Unternehmen, die technologieaffine Personen anziehen möchten. «Mit gut vernetzten, sinnvoll digitalisierten Prozessen und Selfservice-Angeboten bleiben die Motivation, das Engagement und die Produktivität der Mitarbeitenden auf einem hohen Niveau», schrieb bereits Carolin Schneider der Firma 4di2 GmbH in ihrem Beitrag «Grenzen und Möglichkeiten der Digitalisierung von HR-Prozessen» (siehe HR Today Nr. 3/2020).

Pidas setzt einen Chatbot beispielsweise für die monatliche Befragung seiner Mitarbeitenden ein, um herauszufinden, wie es um ihr Wohlbefinden bestellt ist. «Das macht den Mitarbeitenden deutlich mehr Spass, als einen Fragebogen auszufüllen», sagt Müller. «Zudem kann der Chatbot individuell auf ihre Antworten eingehen. Ist ein Mitarbeitender beispielsweise eher unzufrieden, kann das digitale Helferlein direkt nachfragen, weshalb das so ist, und die nötige Hilfe anbieten.» Indem es zum Beispiel Kontakt zu einem HR-Mitarbeitenden herstellt.

24-Stunden-Service

Teilweise stimmen die Aussage von vor drei Jahren also noch: Chatbots sind nicht richtig im HR angekommen und übernehmen auch heute grösstenteils nur einfache, regelbasierte Aufgaben. Das wird gemäss der befragten Unternehmen aber nicht immer so bleiben: «Je weiter die Digitalisierung vorangeht und sich flexible Arbeitsmodelle etablieren, desto gefragter werden Anlaufstellen oder Chatbots sein, die sieben Tage in der Woche rund um die Uhr ständig erreichbar sind», meint Matthias Hunzinger von Swisscom.
«Am Ende hängt es vom Unternehmen und den HR-Mitarbeitenden ab. Für die Lancierung eines Chatbots braucht es nämlich Zeit und Kreativität, was nebst dem Tagesgeschäft manchmal schwierig aufzubringen ist», ergänzt Melanie Müller von Pidas. Deshalb sei etwas Mut von den HR-Abteilungen gefragt. «Je mehr HR-Abteilungen sich an neue Kommunikationskanäle heranwagen, desto mehr investieren auch andere in diese Technologie.»

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