Älterwerden im Unternehmen

Die Fachhochschule Nordwestschweiz ist im Rahmen des Forschungsprojekts „Prime Time – Älterwerden im Unternehmen“ in sechs schweizerischen Unternehmen den Herausforderungen eines alternsbezogenen Personalmanagements auf der Spur. Soviel können die Forscher schon heute sagen: Alles beginnt mit einer Altersstrukturanalyse.

Mit einer im internationalen Vergleich hohen Erwerbsquote von 66,1 Prozent bei den 55- bis 64-Jährigen müssen sich auch die Schweiz und damit die Schweizer Unternehmen den Herausforderungen des demografischen Wandels stellen. Allerdings ist in vielen Schweizer Unternehmen derzeit noch wenig Problembewusstsein vorhanden. Wie eine aktuelle Befragung von 804 Schweizer Unternehmen zeigt, nimmt nur eine Minderheit bereits heute klare demografische Herausforderungen wahr und es sind bislang kaum Maßnahmen zum Personalmanagement eingeleitet oder umgesetzt worden (Höpflinger, 2006). So haben viele Unternehmen aktuell auch keine genauen Kenntnisse darüber, welche Altersstrukturen ihre einzelnen Geschäftsbereiche derzeit haben. Entsprechend können sie auch nicht einschätzen, auf welche organisationsdemografischen Entwicklungen sich das Unternehmen in den nächsten 10 bis 15 Jahren einzustellen hat. Eine Analyse der Altersstrukturen sowie die Ableitung möglicher organisationsdemografischer Zukunftsszenarien ist jedoch eine wesentliche Voraussetzung, um die Personalpolitik strategisch auszurichten. Darüber hinaus hilft eine altersspezifische Auswertung von Kennzahlen, bereits aktuelle und zukünftige Problembereiche zu identifizieren. So wäre etwa zu analysieren, von welchen Altersgruppen angebotene Gesundheitsförderungsmaßnahmen in Anspruch genommen und welche Arbeitszeitmodelle von welchen Altersgruppen präferiert werden, wie sich die Leistungsbeurteilungen auf die unterschiedlichen Altersgruppen verteilen oder welche Weiterbildungsmaßnahmen von welchen Altersgruppen nachgefragt werden. Und auch eine altersbezogene Auswertung von Mitarbeiterbefragungen kann wichtige Hinweise darauf geben, wo Handlungsbedarf für ein alternsdifferenziertes HR-Management gegeben ist.

Viele fühlen sich jünger als sie sind

Aber auch die Mitarbeiter selbst setzen sich häufig nicht rechtzeitig mit der Bedeutung des Älterwerdens für die eigene berufliche Entwicklung auseinander. Dies wird einerseits verstärkt durch die menschliche Neigung, sich jünger zu fühlen als es dem biologischen Alter entspricht. Eine Tendenz, die sich mit zunehmendem Alter noch verstärkt. Andererseits fördert eine Wirtschaftskultur, die dem Defizit- und Risikomodell des Alters nachhängt, nicht unbedingt eine Identifikation mit der Gruppe der älteren Mitarbeiter. Menschen sind nun mal bestrebt, ein möglichst positives Selbstbild aufrecht zu erhalten.
Die Eigeninitiative der Mitarbeiter sich mit ihrer beruflichen Zukunft auseinander zu setzen, lässt sich mit einigen Maßnahmen fördern. So sollten beispielsweise regelmäßig Personalentwicklungsgespräche durchgeführt werden. Auch lebenszyklusorientierte Workshops zur beruflichen Standortbestimmung sind sinnvoll. Diese sollten allerdings für alle Altersgruppen und nicht erst ab 45 oder einem Alter über 50 angeboten werden. Gegenseitige Erwartungen können offen gelegt und angenommene Selbstverständlichkeiten auf ihre Gültigkeit überprüft werden. Auf dieser Grundlage kann dann der psychologische Vertrag zwischen Mitarbeiter und Unternehmen erneuert werden.
Wie Untersuchungen zeigen, spielen die Führungskräfte eine zentrale Rolle für die Arbeitsfähigkeit älterer Mitarbeiter (Ilmarinen, 1999). Denn über ihre Einstellungen und Erwartungen, die das eigene Alter und das der Mitarbeiter betreffen, gestalten sie die Führungsbeziehungen und wirken auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter ein. Stereotype über Defizite im Alter können beispielsweise verhindern, Stärken wahrzunehmen. Und schließlich sind Führungskräfte entscheidend daran beteiligt, Instrumente und Maßnahmen eines alternsgerechten Personalmanagements umzusetzen. Sie müssen diese als relevant erachten und für den einzelnen Mitarbeiter jeweils anpassen. Denn alt ist nicht gleich alt und jung nicht gleich jung! Altern ist ein individueller Prozess und Unterschiede innerhalb einer Altersgruppe sind häufig größer als diejenigen zwischen verschiedenen Altersgruppen. Vorgesetzte für die Thematik eines alternsgerechten Führens zu sensibilisieren und zu qualifizieren ist hierfür eine wichtige Voraussetzung.
Das Personalmanagement alternsgerecht auszurichten, ist oft eine schwierige Gratwanderung. Auch wenn das Alter als eine relevante Dimension erkannt wurde, wollen Menschen doch in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen werden. Und nicht immer stoßen Programme des Personalmanagements für ältere Mitarbeiter auf die erhoffte Gegenliebe. Befürchtet wird, durch eine Sonderbehandlung ausgegrenzt zu werden. Wichtig ist es von daher, nicht nur eine bestimmte Altersgruppe – wie die der älteren Mitarbeiter – zu fokussieren, sondern die Mitarbeitern in unterschiedlichen Lebensphasen durch altersdifferenzierte Maßnahmen des Personalmanagement zu unterstützen.

Das Projekt „Prime Time“

Das Projekt „Prime Time – Älterwerden im Unternehmen“ hat sich zum Ziel gesetzt, mit Unternehmen gemeinsam sowohl die Fragen eines alternsgerechten Personalmanagements (Projektteil 1) als auch – in einem zweiten Projektteil – Anforderungen einer alternsgerechten Führung zu klären. Dafür werden Instrumente und Methoden entwickelt, die Unternehmen dabei helfen, Handlungsfelder angesichts der demografischen Entwicklung zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Gefördert wird das Projekt von der Kommission für Technologie und Innovation des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie. Sechs Schweizer Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen beteiligen sich an diesem Projekt als Fallunternehmen: die Basler Versicherungen, die Berner Kantonalbank, die Schweizerische Post, SCA Packaging Switzerland, Siemens Schweiz AG und das Wirtschafts- und Sozialdepartement, Basel-Stadt. Zunächst geht es darum, die Unternehmen zu sensibilisieren und Handlungsfelder eines alternsgerechten HR-Managements zu identifizieren. Hierfür wurde in jeden Fallunternehmen eine Bestandsaufnahme durchgeführt.
In je dreistündigen Kick-off-Meetings wurden mit der Geschäfts- oder Bereichsleitung und den HR-Verantwortlichen des Fallunternehmens Ziele und Erwartungen an das Projekt definiert und gemeinsam Kriterien für die Erfolgsmessung erarbeitet. Die formulierten Ziele werden einerseits zur Erfolgsmessung genutzt, andererseits fokussieren sie den Auswertungsprozess. Die Datenerhebung der Bestandsaufnahme bestand aus drei Teilschritten:

1. Fragebogenbasierte Selbstanalyse: Im Rahmen der fragebogenbasierten Selbstanalyse wurde abgeklärt, welche HRM-Maßnahmen und Instrumente im Unternehmen oder Geschäftsbereich bereits umgesetzt werden und ob es hierbei alterstypische Besonderheiten gibt. Zudem war von Interesse, welche (altersspezifischen) Kennzahlen bereits erhoben und ausgewertet wurden (etwa Weiterbildungsquote, Fluktuationsrate oder Beschäftigungsdauer/Stelle). Die Unternehmen sollten außerdem veranschaulichende Dokumente beilegen. Die Fragebogen orientieren sich an den europäischen Leitlinien „Altern in der Arbeitswelt“ (Eurolink Age) und gliedern sich in die HR-Prozessfunktionen (Rekrutierung, Personaleinsatz) sowie den Bereich Einstellungswandel/Unternehmenskultur.

2. Interviews mit HR-Leitung und Bereichsleitung: Ergänzend zu den Ergebnissen der Selbstanalyse wurden mit HR-Leitung(en) sowie der Leitung des ausgewählten Geschäftsbereichs Interviews durchgeführt, in denen die Themen der Selbstanalysen vertieft wurden. Neben der Wahrnehmung und Rolle älterer Mitarbeiter im Unternehmen standen die bisherige altersbezogene Personalpolitik und HR-Maßnahmen sowie mögliche Problembereiche und Handlungsbedarf hinsichtlich älterer Mitarbeiter, aber auch der anderen Altersgruppen im Vordergrund.

3. ASTRA – Altersstrukturanalyse im Unternehmen: In dem ausgewählten Unternehmensbereich wurde zudem eine Altersstrukturanalyse durchgeführt. Diese erlaubt es, die momentanen Altersstrukturen und deren zukünftige Entwicklung sichtbar zu machen und dadurch betriebliche Problemfelder für das HRM identifizieren zu können. Für die Altersstrukturanalyse wurde das von uns entwickelte Instrument „Prime Time ASTRA“ genutzt. ASTRA (für: Altersstrukturanalyse) ist ein datenbankbasiertes Analysetool, bei dem durch ein Simulationsprogramm die Entwicklung der Personaldaten in fünf beziehungsweise zehn Jahren abgebildet wird.

Im ersten Schritt wird die momentane Altersverteilung im Unternehmensbereich aufgezeigt (Ist-Auswertung) und zwar sowohl insgesamt als auch anhand verschiedener Segmentierungsvariablen wie etwa Abteilung, Geschlecht oder Funktion. Dies ist deshalb wichtig, weil innerhalb eines Unternehmens ganz unterschiedliche Altersstrukturen vorherrschen können. In der IT-Abteilung etwa
ist die Altersstruktur jugendzentriert, die Produktion hat überwiegend Mitarbeiter mittleren Alters, während im Einkauf heterogene Altersstrukturen zu finden sind. Im zweiten Schritt werden Prognosen erstellt, wie sich die Altersstrukturen in fünf respektive zehn Jahren darstellen könnten (Simulation). Zur Simulation der Altersstrukturen kann der Personalbestand einfach fortgeschrieben werden. Es zeigt also, wie sich die Altersstrukturen verändern würden, wenn sich außer den Abgängen durch Pensionierung nichts verändern würde. ASTRA erlaubt jedoch auch
eine Kombination aus Parametern wie Fluktuation, Frühpensionierungs- oder Lehrlingsquote anzulegen. Diese Fortschreibung kann sich entweder an der bisherigen Personalpolitik orientieren, es können aber auch die Auswirkungen eines Wechsels in der bisherigen Personalpolitik abgebildet werden. Die Abbildung 1 (siehe Seite 19) zeigt eine Beispielauswertung. Die Altersstrukturanalyse liefert Hinweise auf mögliche Problemfelder im Unternehmen. Laufende und geplante personalpolitische Maßnahmen können vor dem Hintergrund der momentanen Altersstrukturen des Unternehmens sowie deren zukünftiger Entwicklung auf ihre Zukunftstauglichkeit überprüft werden. Auf Basis der Ergebnisse können dann im Sinne eines proaktiven Handelns kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen geplant werden.

Das Prime-Time-Analyseraster

Zur Analyse und Bewertung der Daten aus der Bestandsaufnahme wurde ein Auswertungsraster entwickelt. Es erlaubt, eine unternehmensspezifische Standortbestimmung zum alternsbezogenen HR-Management durchzuführen und daraus Handlungsfelder abzuleiten. Abbildung 2 zeigt das Auswertungsraster und beispielhaft die Auswertung anhand der Personalfunktion Rekrutierung. Anhand dieses Auswertungsrasters wird jede der HR-Prozessfunktionen sowie der Bereich Einstellungswandel/Kultur in Zweierteams bewertet. Es zeigt Stärken und Schwächen in der derzeitigen alternsbezogenen Personalpolitik des jeweiligen Unternehmens auf und erlaubt es, Handlungsfelder zu identifizieren und zu priorisieren. Im Rahmen von Strategie-Workshops mit den Personal- und Bereichsverantwortlichen des jeweiligen Fallunternehmens werden die Ergebnisse vorgestellt, diskutiert und gemeinsam Ziele und mögliche Maßnahmen abgeleitet. In einem nächsten Schritt erfolgt eine integrierende Auswertung über alle Fallunternehmen hinweg.
Der zweite, noch nicht abgeschlossene Projektteil, richtet sich auf die Anforderungen, denen sich Linienvorgesetzte im Führungsalltag in Bezug auf die Thematik des „Älterwerdens in Unternehmen“ stellen müssen und wie sie hierbei unterstützt werden können. Die Frage ist, gibt es kritische Ereignisse im Führungsalltag, die im Zusammenhang mit der Alterswahrnehmung stehen und wie gehen Führungskräfte damit um. Dieser Frage wird mit Hilfe von Interviews, Führungstagebüchern sowie Workshops nachgegangen auf Basis der Ergebnisse wird ein Qualifizierungsmodul zum Thema „alternsgerechte Führung“ entwickelt und mit Führungskräften aus den Fallunternehmen erprobt.

Original-Artikel

Ausgabe: 8/2006